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Arbeitsgemeinschaft der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege des Landes Nordrhein-Westfalen e. V. | Detail

Stellungnahme zum Erlass „Offene Ganztagsschulen sowie außerordentliche Ganztags- und Betreuungsangebote im Primarbereich"

Anhörung des Ausschusses für Familie, Kinder und Jugend am 6. November 2024

Stand: 22.10.2024. Offene Ganztagsschulen (OGS) bieten ein umfassendes und ganzheitliches Bildungs-, Erziehungs-, Betreuungs- und Förderangebot für alle Schülerinnen und Schüler in Nordrhein-Westfalen. Zentral für das Gelingen eines qualitativ hochwertigen Angebotes an Offenen Ganztagsschulen ist die intensive Zusammenarbeit zwischen Schulen und Partnern aus der Kinder- und Jugendhilfe. Trotz unterschiedlicher Ausgangslagen von Schule und Jugendhilfe verfolgen beide Systeme in der Kooperation das gemeinsame Ziel, Bildung, Erziehung und Betreuung für junge Menschen zu organisieren, qualitativ gute Angebote zu entwickeln und individuelle Förderung sowie Inklusion zu ermöglichen. Die Offenen Ganztagsschulen haben sich zu einem wichtigen Bildungs-, Betreuungs- und Förderangebot für Schüler*innen in Nordrhein-Westfalen entwickelt. Sie tragen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie Chancen- und Bildungsgerechtigkeit bei.

Mit rund 80 Prozent stellen Träger mit Anschluss an die Freie Wohlfahrtspflege den weitaus größten Anteil an Organisationen und Institutionen, die sich für die Umsetzung und Gestaltung der außerunterrichtlichen Bereiche der OGS in NRW verantwortlich zeichnen. Die Arbeitsgemeinschaft der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege des Landes Nordrhein-Westfalen bedankt sich vor diesem Hintergrund für die Möglichkeit, zu dem o.g. Erlass (Vorlage 18/2781) Stellung nehmen zu können.

Mit der Verabschiedung des Ganztagsförderungsgesetzes (GaFöG) sind die Weichen für einen Rechtsanspruch aller Schüler*innen auf einen Platz im Ganztag in der Primarstufe auf Bundesebene gestellt. Auf Landesebene liegt nun der o.g. gemeinsame Erlass vor, der die Ausgestaltung des Ganztags in Nordrhein-Westfalen ab dem Jahr 2026 regeln soll. Damit ist klar, dass es in Nordrhein-Westfalen kein Ausführungsgesetz für den Offenen Ganztag geben wird – entgegen der im Koalitionsvertrag festgehaltenen Ankündigung.  

Zentrale Aussage des Erlasses ist der Ausbau der bestehenden Kooperation von Jugendhilfe und Schule. Damit verbunden ist ein klares Bekenntnis zur Fortführung des langjährig bewährten OGSTrägermodells. Die Freie Wohlfahrtspflege begrüßt dieses klare Bekenntnis ausdrücklich.  

Der Erlass sieht eine Stärkung der Zusammenarbeit von Jugendhilfe und Schule vor, was ausdrücklich zu begrüßen ist. Die Gewährleistungspflicht für die Erfüllung des Rechtsanspruchs im Offenen Ganztag obliegt ab August 2026 dem Träger der örtlich zuständigen öffentlichen Jugendhilfe. Konkret bedeutet dies, dass die öffentliche Jugendhilfe verpflichtend Partner bei den zu erstellenden Kooperationsvereinbarungen wird.  

Ebenfalls positiv zu vermerken ist, dass die „Bildungsgrundsätze für Kinder von 0-10 Jahren in Kindertagesbetreuung und Schulen im Primarbereich in Nordrhein-Westfalen“ auch weiterhin als grundlegende Orientierung bei der Ausgestaltung der Angebote im Offenen Ganztag dienen werden.

Im Punkt 2.2 des vorgelegten Erlasses ist formuliert, dass in allen Landesteilen eine „möglichst vergleichbare Qualität sichergestellt werden“ soll. In den Punkten 2.3 und 4.4 wird dargelegt, dass Schulaufsicht und Jugendämter die örtlichen Entwicklungsprozesse unterstützen sollen. Die Freie Wohlfahrtspflege begrüßt die Verpflichtung zur Zusammenarbeit und hält dieses kooperative Vorgehen für gut geeignet, um der Herausforderung des Rechtsanspruchs zu entsprechen.

Aus der Sicht der Freien Wohlfahrtspflege sind folgende Inhalte des vorgelegten Erlasses zu kritisieren:

Als wesentlicher Punkt ist hier der Verzicht auf eine Betriebserlaubnispflicht für die Angebote des Offenen Ganztags zu nennen. Die Einführung einer Betriebserlaubnispflicht wäre ein geeignetes Instrument, um landesweit verbindliche Standards in den Angeboten des Offenen Ganztags zu etablieren. Hierzu könnten beispielsweise konzeptionelle Mindestanforderungen, Regelungen zum Kinderschutz, Bestimmung von Personalschlüsseln, Gruppengrößen und fachlicher Mindestqualifikation des Personals überprüfbar geregelt werden.

Der vorgelegte Erlass enthält kein Fachkräftegebot und lässt den Regelungen zum Personal weiterhin einen sehr breiten Interpretationsspielraum. Als Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege in NRW sind wir uns des Fachkräftemangels bewusst, der die Einführung von Standards im Offenen Ganztag erheblich erschwert. Andererseits darf der Verzicht auf Standards im Offenen Ganztag nicht damit gerechtfertigt werden, dass die genannten Herausforderungen zu groß sind. Vielmehr sollten qualitative Übergangsregelungen geschaffen werden, flankiert von einer Fachkräfteoffensive für die OGS und Qualifizierungsangeboten für Beschäftigte ohne entsprechende Ausbildung.

Es ist unerlässlich, die Rahmenbedingungen und damit auch die Arbeitsbedingungen zu verbessern, um qualifiziertes Personal nicht nur zu gewinnen, sondern auch langfristig zu binden: Viele Mitarbeitende in der OGS streben eine Aufstockung der wöchentlichen Arbeitsstundenzahl an, um mehr Ressourcen für zum Beispiel die Vor- und Nachbereitung ihrer Angebote sowie für Gespräche mit Eltern und Lehrkräften zu haben. Darüber hinaus könnten sie sich bei Personalausfällen besser gegenseitig vertreten und somit dem politisch gewollten Bildungsauftrag gerecht werden. Durch die Erhöhung der Stundenumfänge könnte die OGS zudem von einem additiven Angebot stärker hin zu einem rhythmisierten Angebot im Sinne einer Verzahnung von Jugendhilfe und Schule weiterentwickelt werden. Damit die OGS nicht nur als Betreuungsangebot, sondern vielmehr als wichtiger Bildungsort wahrgenommen wird! Nicht zuletzt sollte im Sinne des Kinderschutzes ein verbindlicher Personalschlüssel eingeführt werden.

Der Erlass sieht eine Fortführung der bisherigen Finanzierung des Offenen Ganztags vor. Die jährliche Dynamisierung in Höhe von 3 Prozent der OGS-Pauschalen hat sich in der Vergangenheit als unzureichend erwiesen, um eine flächendeckende, auskömmliche Finanzierung der Angebote sicherzustellen. Viele Kommunen in Nordrhein-Westfalen zahlen darüber hinaus zusätzliche freiwillige Mittel, was zu sehr unterschiedlichen Situationen in den einzelnen Kommunen führt¹. Somit kann auch die o. g. Chancen- und Bildungsgerechtigkeit für Kinder nicht landesweit einheitlich erreicht werden.

Seit mehreren Jahren weist die Freie Wohlfahrtspflege auf ein strukturelles Finanzierungsdefizit der OGS hin. Die Freie Wohlfahrtspflege hat in eigenen Berechnungen festgestellt, dass die Pauschalen pro Kind und Schuljahr für ein qualitativ angemessenes und auskömmlich finanziertes Angebot eigentlich mehr als doppelt so hoch ausfallen müssten.

Siehe auch Positionspapier zu den Berechnungen der Freien Wohlfahrtspflege (*.pdf)

In Punkt 5.4. des vorgelegten Erlasses werden die Schließzeiten benannt. Derzeit fehlt eine klare Nennung der maximal festgelegten Schließzeit in den Ferien. Der aktuell einzig verbindliche Anhaltspunkt in dieser Hinsicht ist das Ganztagsförderungsgesetz (GaFöG) des Bundes, in dem geregelt ist, dass die Länder eine Schließzeit von jährlich maximal vier Wochen beschließen können. Die Freie Wohlfahrtspflege fordert daher eine landesrechtliche Regelung für Nordrhein-Westfalen.  

Fazit:
Der Erlass bleibt in seiner vorgelegten Ausführung deutlich hinter den Erwartungen der Freien Wohlfahrtspflege zurück. Die Vorlage entspricht im Wesentlichen dem bestehenden Erlass. Der neu gefasste Erlass orientiert sich in erster Linie am quantitativen Ausbau des Offenen Ganztags in Nordrhein-Westfalen. Die Freie Wohlfahrtspflege NRW und deren angeschlossene Träger des Offenen Ganztags hätten sich ein Ausführungsgesetz und eine stärkere Verbindlichkeit für die Angebote des Offenen Ganztags gewünscht. Es bleibt abzuwarten, ob mit dem vorgelegten Erlass die in Punkt 2.2 geforderte “möglichst vergleichbare Qualität“ in allen Landesteilen Nordrhein-Westfalens sichergestellt werden kann.  

 

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¹ siehe bspw. die Kampagne “Gute OGS darf keine Glückssache sein!” der Freien Wohlfahrtspflege NRW