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Arbeitsgemeinschaft der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege des Landes Nordrhein-Westfalen e. V. | Detail

Stellungnahme der Landesarbeitsgemeinschaft der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege NRW zum Antrag der Fraktion der SPD „Die Landesregierung gibt den Sozialen Arbeitsmarkt auf: Koalitionsversprechen halten!“

(Drucksache 18/8893)

Stand: 24.09.2024. Die Landesarbeitsgemeinschaft der Freie Wohlfahrtspflege NRW (LAG FW NRW) bedankt sich für die Möglichkeit der Stellungnahme zum Antrag und die Einladung zur Anhörung.

Gegenstand der Anhörung ist ein Antrag der Fraktion der SPD (Drucksache 18/8893), der die Landesregierung auffordert, den Sozialen Arbeitsmarkt in NRW gezielt auszubauen. Der Antrag nimmt Bezug auf eine Aussage im „Zukunftsvertrag“ der Regierungsfraktionen: „Wir gehen entschieden gegen Langzeitarbeitslosigkeit vor und bauen den Sozialen Arbeitsmarkt landesseitig zielgerichtet aus. Zusätzlich zum Teilhabechancengesetz sollen Kommunen durch ein eigenes Förderprojekt des Landes im Sinne des Passiv-Aktiv Transfers geförderte Arbeitsplätze für Langzeitarbeitslose schaffen, auch um ökologische Transformationsprozesse zu unterstützen.“¹

Die LAG FW NRW steht hinter der Idee eines Sozialen Arbeitsmarkts, der besonders benachteiligten Menschen (u. a. durch einen Lohnkostenzuschuss) soziale Teilhabe durch Erwerbsarbeit in einem regulären Arbeitsverhältnis ermöglicht. Von daher hat die LAG FW NRW den im Zukunftsvertrag von CDU und Bündnis 90/Die Grünen festgeschriebenen Ausbau eines Sozialen Arbeitsmarktes in NRW immer begrüßt. Sie unterstützt in diesem Sinne auch die Forderungen des vorliegenden Antrags der SPD.

Das mit dem Teilhabechancengesetz 2019 bundesweit neu eingeführte Instrument „Teilhabe am Arbeitsmarkt“ (§ 16i SGB II) hat inzwischen vielen am Arbeitsmarkt benachteiligten Personen neue Möglichkeiten der sozialen Teilhabe durch Erwerbsarbeit eröffnet. Oft gelingt es, dass Menschen aus der geförderten Beschäftigung heraus eine Stelle ohne Lohnkostenzuschuss beim gleichen oder einem anderen Arbeitgeber finden. Doch leider ist auch Fakt, dass selbst nach fünf Jahren Förderung nach § 16i SGB II der allgemeine Arbeitsmarkt nicht alle Geförderten ohne ergänzenden Lohnkostenzuschuss integriert. Dies betrifft nach unseren Erfahrungen insbesondere:

  • ältere Personen (über 58 Jahre),
  • Personen in besonderen sozialen Schwierigkeiten (gem. § 67 SGB XII)
  • Personen mit bleibenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen (z. B. Methadon-Substitution, chronische psychische Erkrankung)

Trotz Entfristung des Teilhabechancengesetzes droht diesen Menschen nach Auslaufen der Förderung nach § 16i SGB II erneut Arbeitslosigkeit und damit soziale Isolation und Perspektivlosigkeit. Auf Bundesebene und in NRW fehlt für genau diese Gruppe ein sinnvolles Anschlussinstrument. Die LAG FW NRW sieht für diese klar beschriebene Zielgruppe die Notwendigkeit, ein neues gesetzliches Anschlussinstrument im SGB II einzuführen, das im Sinne der betroffenen Menschen, aber auch von Wirtschaft und Gesellschaft, einen verlässlichen Sozialen Arbeitsmarkt schafft.

In einem 2022 gemeinsam mit anderen Bundesländern verfassten „Positionspapier der Länder“ der Arbeits- und Sozialministerkonferenz an das BMAS erkennt auch die Landesregierung von NRW an: „Nicht bei allen nach § 16i SGB II geförderten Personen gelingt eine Überwindung der Hilfebedürftigkeit und Integration auf dem ersten Arbeitsmarkt. Aus Sicht der Länder muss eine Anschlussperspektive für die Menschen geschaffen werden, die trotz Ausschöpfung der maximalen Förderdauer von fünf Jahren nach § 16i SGB II nicht auf dem Arbeitsmarkt integriert werden konnten (…).“ Auch der zu Beginn des Jahres vorgelegte Abschlussbericht zur Evaluation des Teilhabechancengesetz hebt hervor, dass den Geförderten derzeit keine Anschlussperspektiven zur Verfügung stehen und daher die erzielten Teilhabeeffekte und damit auch die aufgewandten Investitionen verpuffen werden.²

Die LAG FW NRW schlägt konstruktiv vor, wie in NRW durch ein Modellprojekt die Grundlagen für ein neues gesetzliches Anschlussinstrument nach Auslaufen der Förderhöchstdauer von „Teilhabe am Arbeitsmarkt“ (§ 16i SGB II) erprobt werden könnten. Unter Einbezug des Passiv-Aktiv-Transfers (PAT) soll verstärkt in Beschäftigung statt in Arbeitslosigkeit investiert werden. Eine entsprechende Förderhöhe von etwa 70 Prozent der Lohnkosten würden fast der Höhe der Rückflüsse (Steuern und Sozialabgaben) bzw. der Einsparungen der öffentlichen Hand (Berücksichtigung der aktuellen PAT-Pauschalen) entsprechen:

Gesamtkosten Lohn2.473,16 €
Zu finanzieren u.a. durch
PAT-Bauschale Bund800,00 €
Kommunale Mittel, kommunaler PAT450,00 €
Ergänzende Landesförderung450,00€
Gesamtrefinanzierung1.700,00 €

Entspricht einer Förderung der Lohnkosten in Höhe von ca.  67,4 Prozent.

 Die verbleibenden 30 Prozent der Lohnkosten müssen die geförderten (gewerblichen, kommunalen, sozialen) Betriebe erwirtschaften. Nach unseren Berechnungen könnten mit einer Millionen Euro zusätzlicher Landesmittel pro Jahr so etwa 185 Personen in Beschäftigung gehalten werden, die ansonsten wieder gänzlich aus dem Arbeitsmarkt ausgesteuert allein von Bürgergeld leben müssten. Hervorzuheben ist, dass eine solche geförderte Beschäftigung einen Beitrag zur gesellschaftlichen Wertschöpfung durch Produktion oder Dienstleistung erbringt (z.B. für die sozio-ökonomische Weiterentwicklung in Deutschland und in NRW) und zudem dem Arbeitskräftemangel entgegensteuert.

Die Freie Wohlfahrtspflege ist fest davon überzeugt, dass NRW auch weiterhin eine Vorreiterrolle in der deutschen Arbeitsmarktpolitik einnehmen sollte. Dies ist bereits mit dem Programm „Öffentlich geförderte Beschäftigung NRW“ gelungen und hat das Instrument „Teilhabe am Arbeitsmarkt“ (§ 16i SGB II) wesentlich beeinflusst.

Wir halten es für unabdingbar, eine Anschlussförderung für Menschen mit schwerwiegenden Vermittlungshemmnissen zu erproben, denen auch nach fünf Jahren Förderung gemäß § 16i SGB II der Übergang in den regulären Arbeitsmarkt nicht gelungen ist.

Es sollte erprobt werden,

  • inwieweit eine Finanzierung unter Einbindung der Kommunen gelingt,
  • wie der Zugang von Förderberechtigten in ein solches Anschlussinstrument gesteuert werden kann
  • und welche gesellschaftliche Wertschöpfung aus der Arbeit der Beschäftigten resultiert.

Um aus den Ergebnissen nach einer dreijährigen Pilotphase aussagekräftige Erkenntnisse für eine bundesweiten gesetzliche Verankerung eines Anschlussinstruments zu gewinnen, erachtet die LAG FW NRW eine Evaluation für notwendig.

Die Zahl der Menschen in verfestigter Langzeitarbeitslosigkeit in NRW ist weiterhin besonders hoch. Daher ist ein Anschlussinstrument für NRW von besonderer Bedeutung und mit einem überschaubaren Einsatz von Landesmitteln zu realisieren bzw. auszutesten. Genau jetzt – nach fünf Jahren Höchstdauer in der Förderung – beenden auch die Menschen mit schwerwiegenden Vermittlungshemmnissen ihre durch das Teilhabechancengesetz geförderte Beschäftigung. Im Sinne einer nachhaltigen Arbeitsmarktpolitik muss ihre wertschöpfenden Weiterbeschäftigung nun gesichert werden und kann nicht auf ungewisse Zeit, wenn sich die finanzielle Situation des Landes verbessert hat, verschoben werden.

Die Landesregierung hat nun die Chance, durch ein Modellprojekt einen neuen Meilenstein in der Arbeitsmarktpolitik zu setzen.

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¹ Zukunftsvertrag für Nordrhein-Westfalen, Koalitionsvereinbarung von CDU und Grünen 2022-2027. S. 102, Zeile 4980-4984.

² Vgl. S. 7 Evaluation des Teilhabechancengesetzes - Abschlussbericht (iab.de)