Link zur Startseite

Gemeinsame Positionierung der LAG Freie Wohlfahrtspflege NRW und der Verbände der Selbsthilfe in NRW zum Positionspapier der BAGüS zur Bundestagswahl 2025

Im Dezember 2024 wurde durch die Verwaltung des Landschaftsverband Rheinland (LVR) eine „LVR-Resolution: Selbstbestimmte und wirksame Teilhabe von Menschen mit Behinderung erfordert auf Gleichberechtigung und Inklusion ausgerichtete gesamtgesellschaftliche Anstrengungen und gesetzliche Weiterentwicklungen“ mit der

Vorlage Nr. 15/2820 in die Landschaftsversammlung eingebracht.

Dieser Resolutionsentwurf wurde fraktionsübergreifend (auch nach deutlicher Kritik aus der Selbsthilfe und der Anbieterlandschaft) durch die Landschaftsversammlung nicht mitgetragen. Stattdessen wurde durch die Fraktionen CDU, SPD, FDP, Grüne und Die Linke am 11.12.2024 eine „Resolution der Landschaftsversammlung Rheinland“ verabschiedet, der die LAG Freie Wohlfahrtspflege NRW (LAG FW) und die Verbände der Selbsthilfe in NRW inhaltlich voll und ganz zustimmen.

Umso überraschter sind wir, dass nun zwei Monate später im Februar 2025 durch die Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen Träger der Sozialhilfe und der Eingliederungshilfe (BAGüS) ein „Positionspapier zur Bundestagswahl 2025“ veröffentlicht wurde, das in Teilen wortgleich die Positionen aus der durch die Politik abgelehnten LVR-Resolution vertritt. Dies verwundert vor allem, da der LVR als größtes Mitglied der BAGüS dort den Vorsitzenden stellt und die Geschäftsstelle betreibt.

In NRW stehen wir aufgrund der Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) und des Landesrahmenvertrages nach § 131 SGB IX (LRV) weiter vor großen Herausforderungen, die durch den Vorstoß der LVR-Verwaltung und nun durch die BAGüS erneut atmosphärisch und inhaltlich unnötig gestört werden. In NRW haben wir 2019 mit den Landschaftsverbänden und weiteren Leistungsträgern einen Landesrahmenvertrag mit Kompromissen auf allen Seiten entwickelt, den Leistungsberechtigte und Leistungserbringer nun im Sinne der Menschen mit Behinderungen umsetzen möchten. Wir sehen uns daher gezwungen, zu einzelnen Punkten des Positionspapiers der BAGüS Stellung zu beziehen:

Ablösung des Vereinbarungsprinzips

Wir lehnen die von der BAGüS geforderte "Ablösung des Vereinbarungsprinzips" entschieden ab. Das sozialrechtliche Dreieck aus Leistungsberechtigten, Leistungsträgern und Leistungserbringern ist unverzichtbar und muss erhalten bleiben. Diese Struktur sichert seit Jahrzehnten eine ausgewogene Zusammenarbeit und das Wunsch- und Wahlrecht der Menschen mit Behinderungen. Die darauf basierende Sozialpartnerschaft hat zu effektiver Zusammenarbeit geführt. Eine historische Abkehr davon würde die Leistungsqualität gefährden und Menschen mit Behinderungen wieder zu bloßen Leistungsempfängern degradieren.

Vermeintliche "Komplexitätsreduzierungen im Vertragsrecht"

Die vermeintlichen "Komplexitätsreduzierungen im Vertragsrecht" können wir nicht mittragen. Die bestehenden vertraglichen Regelungen, einschließlich der Schiedsstellenfähigkeit von Leistungs- und Vergütungsvereinbarungen, sichern eine differenzierte, bedarfsgerechte Leistungserbringung und einen fairen Interessenausgleich. Eine Vereinfachung könnte zu einer Pauschalisierung führen, die der Vielfalt der Unterstützungsbedarfe nicht gerecht wird und die Rechte der Beteiligten beschneidet. Die aktuellen Strukturen gewährleisten die notwendige Mitsprache und Konfliktlösung. Dies gilt auch für die Vorgabe, dass über die Höhe von Vergütungskürzungen aufgrund von vermeintlichen Verletzungen gesetzlicher bzw. vertraglicher Verpflichtungen Einvernehmen herzustellen ist. Diese Regelung wurde vom Gesetzgeber bewusst zur Vermeidung von Rechtsstreitigkeiten in das Gesetz aufgenommen. Wir plädieren für eine gemeinsame Weiterentwicklung des Vertragsrechts, die die Interessen aller Parteien berücksichtigt und das Wohl der Menschen mit Behinderungen in den Mittelpunkt stellt.

Überprüfung der Bedarfsermittlung

Die personenzentrierte Leistungserbringung ist der Kern des BTHG. Der individuelle Bedarf der leistungsberechtigten Person wird durch das Teilhabe-/Gesamtplanverfahren festgestellt und ist deshalb unverzichtbare Voraussetzung der personenzentrierten Leistungserbringung. Die Entwicklungen bzgl. des Verwaltungsaufwandes in der Bedarfsermittlung sehen auch wir kritisch. Anpassungen in den Bedarfsermittlungen dürfen, auch durch die Nutzung von KI, nicht zu Ungunsten des partizipativen Einbezugs der leistungsberechtigten Person in das Verfahren erfolgen. Eine Überprüfung der Praktikabilität und Effektivität der Bedarfsermittlungsverfahren muss in erster Linie die personenzentrierte Bedarfsermittlung, Leistungsermittlung und Leistungserbringung in den Blick nehmen.

Fach- und Arbeitskräftemangel

Wir stimmen einer Verschlankung und Entbürokratisierung der Verwaltungsprozesse zu und sprechen uns für einen flexiblen Einsatz von Fach- und Arbeitskräften aus, wenn dieser dem Bedarf der leistungsberechtigten Person entspricht. Die Nutzung von KI begrüßen wir, weisen jedoch auf die Notwendigkeit hin, für den Einsatz verbindliche ethische Leitlinien zu formulieren.

Inklusive Gestaltung der Regelsysteme

Wir unterstützen grundsätzlich die Forderung nach einer inklusiveren Gestaltung der Regelsysteme. Dennoch ist zur Kenntnis zu nehmen, dass selbst bei optimaler Gestaltung der Regelsysteme durch die Eingliederungshilfe zu deckende individuelle Teilhabebedarfe bestehen bleiben werden. Vor allem Menschen mit hohem Unterstützungsbedarfen sind auf Leistungen der Eingliederungshilfe angewiesen, um Teilhabe am Regelsystem zu erfahren.

Teilhabe am Arbeitsleben

In Bezug auf die Teilhabe am Arbeitsleben begrüßen wir Bestrebungen zur Weiterentwicklung, wie sie auch im BAGüS-Papier angesprochen werden. Hierbei muss jedoch stets der Mensch mit Behinderung im Mittelpunkt stehen. Maßnahmen wie die Überprüfung des Leistungskatalogs nach § 111 SGB IX sollten darauf abzielen, die Möglichkeiten zur Teilhabe am Arbeitsleben zu erweitern und zu verbessern, nicht einzuschränken.

Finanzielle Beteiligung des Bundes

Wir unterstützen die Forderung der BAGüS nach einer stärkeren finanziellen Beteiligung des Bundes. Insbesondere teilen wir die Ansicht, dass "die Aufwendungen für die Unterkunftskosten in Besonderen Wohnformen gemäß § 42a Abs. 6 SGB XII vollständig und systemgerecht der sozialhilferechtlichen Grundsicherung zugeordnet werden" müssen. Ebenso stimmen wir zu, dass Pflegeleistungen "auch in Besonderen Wohnformen vollständig und nicht mit geringeren Pauschalbeträgen (§ 43a SGB XI) zu gewähren" sind. Wir weisen jedoch darauf hin, dass die Ziele der Eingliederungshilfe gegenüber der Pflege umfassender sind. Einschränkungen in der ganzheitlichen und mit der Eingliederungshilfe verbundenen pflegerischen Leistung dürfen nicht die Folge sein. Insofern geht es um die Erhöhung der Erstattung der Pflegeversicherung an die Träger der Eingliederungshilfe, die pflegerischen Leistungen sollen in besonderen Wohnformen aber Bestandteil der Eingliederungshilfe bleiben.

Dennoch betonen wir: Bis diese Reformen umgesetzt sind, muss die vollständige Umsetzung der aktuellen Gesetze und Vereinbarungen, insbesondere des Bundesteilhabegesetzes und der UN-Behindertenrechtskonvention, konsequent fortgeführt werden. Die Rechte und Ansprüche von Menschen mit Behinderungen dürfen nicht unter dem Vorbehalt zukünftiger Finanzierungsmodelle stehen.

Zusammenfassung und Ausblick

Die LAG Freie Wohlfahrtspflege NRW und die Verbände der Selbsthilfe in NRW setzen sich nachdrücklich für eine inklusive Gesellschaft ein, in der Menschen mit Behinderungen selbstbestimmt und gleichberechtigt teilhaben können. Wir appellieren eindringlich an die politischen Vertreter*innen aus Nordrhein-Westfalen, ihren Einfluss auf Bundesebene geltend zu machen, um jeglichen Bestrebungen entgegenzuwirken, die zu einer Rückabwicklung der Errungenschaften des Bundesteilhabegesetzes führen könnten. Stattdessen fordern wir eine Weiterentwicklung des Hilfesystems, die die Rechte und Bedürfnisse der Menschen mit Behinderungen konsequent in den Mittelpunkt stellt. Bei einer möglichen Weiterentwicklung der Eingliederungshilfe und der damit verbundenen Gesetzgebung ist es von entscheidender Bedeutung, dass die Prinzipien der UN-Behindertenrechtskonvention gewahrt und gestärkt werden.

Nur durch einen engen Dialog zwischen Politik, Leistungsträgern, Leistungserbringern und vor allem den Menschen mit Behinderungen selbst können wir eine Zukunft der Eingliederungshilfe gestalten, die von Partnerschaftlichkeit, Respekt und dem Willen zur Inklusion geprägt ist.

Zurück