Den umfassenden Ansatz, bei der Aufgabenwahrnehmung den Blick auf alle Formen von physischer, psychischer und sexualisierter Gewalt sowie Vernachlässigung und Machtmissbrauch zu richten, unterstützen wir. Ebenso wird das Vorhaben begrüßt, für die flächendeckende Etablierung der Themen Kinderschutz und Kinderrechte eine oder einen Beauftragte/n für Kinderschutz und Kinderrechte in Nordrhein-Westfalen einzusetzen. Dabei trägt die Benennung beider Bereiche einem erweiterten Blick auf Kinderschutz Rechnung, der die Rechte von Kindern und Jugendlichen in den Fokus nimmt und diese als eigenständige Träger von Schutz-, Förder- und Beteiligungsrechten respektiert¹. Wir gehen davon aus, dass die Ausstattung des/der Beauftragten mit einem Arbeitsstab der Komplexität des Aufgabenfeldes zuträglich wäre. Die in Abschnitt D aufgeführten finanziellen Mittel für die Bearbeitung der aufgeführten Aufgaben müssen aus unserer Sicht rechtzeitig und für eine möglichst große Breite an Maßnahmen zur Verfügung gestellt werden. Die Mittel sind dabei zusätzlich zur Verfügung zu stellen und dürfen nicht zu Lasten anderer Landesförderungen im Bereich des Kinderschutzes gehen.
Eine strukturell zusätzliche Institution neben den bereits bestehenden Akteuren im Land (Kinderschutzbund, Fachstelle für Prävention, Landesjugendämter etc.) halten wir dann für sinnvoll, wenn sie neben den Aufgaben zum Schutz und zur Förderung der Rechte von Kindern und Jugendlichen sowie der professionellen Koordination und Vernetzung auch die Träger der Kinder- und Jugendhilfe, der Eingliederungshilfe, der Flüchtlingshilfe und andere Akteure der freien und öffentlichen Wohlfahrtspflege in ihre Arbeit einbezieht und diese bezüglich der genannten Themen unterstützt. Im vorliegenden Gesetzesentwurf fehlt allerdings eine explizite Formulierung entsprechender Aufgaben. Des Weiteren bedarf es unseres Erachtens der Klarstellung, welche Vollmachten der/die Beauftragte erhalten soll. Die in § 18 Abs.3 formulierte Unabhängigkeit ist zu begrüßen. Diese könnte durch den Zusatz, dass der/die Landesbeauftragte gegenüber dem Land nicht weisungsgebunden ist, noch weiter gestärkt werden. Die Unabhängigkeit muss auch bei der in § 19 Abs. 3 aufgeführten „Begleitung von Maßnahmen der Landesregierung und des Landtages in den Bereichen Kinderschutz und Kinderrechte“ gewährleistet sein.
Aus Perspektive der Einrichtungen und Träger, die Kinder und Jugendliche betreuen, begleiten und unterstützen, ist kritisch zu hinterfragen, warum in § 19 Abs. 4 bei der „Impulssetzung für die Entwicklung von Maßnahmen in den Bereichen Kinderschutz und Kinderrechte“ sogenannte Defizitanalysen aufgeführt werden. Die gewählte Formulierung legt nahe, dass von Defiziten bei den Trägern in diesem Bereich ausgegangen wird. Der ebenfalls aufgeführte neutrale Begriff der Bestandsanalyse ist unseres Erachtens an dieser Stelle völlig ausreichend.
Die in § 21 geregelte Berichtspflicht wird begrüßt. Wir gehen dabei davon aus, dass der Bericht nicht nur der Landesregierung und dem Landtag vorgelegt, sondern zugleich auch der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird (vgl. § 21 Abs. 2).
Begrüßenswert ist ebenfalls, dass Kinder und Jugendliche, aber auch Betroffene jeder Form von Gewalt im Kindes- und Jugendalter, in das in § 22 aufgeführte Beteiligungsverfahren eingebunden werden sollen. Während in § 19 Abs. 5 die Schaffung entsprechender Formate zur Beteiligung von Kindern und Jugendlichen explizit als Aufgabe der/des Beauftragten benannt werden, fehlt eine analoge Aufgabenbeschreibung jedoch hinsichtlich einer strukturellen Beteiligung Betroffener. Dies sollte aus unserer Sicht an genannter Stelle ergänzt werden.
Neben dieser allgemeinen Rückmeldung zum vorliegenden Entwurf, möchten wir im Folgenden das geplante Gesetzesvorhaben mit Blick auf Kinder und Jugendliche mit Behinderungen sowie auf geflüchtete Kinder und Jugendliche kommentieren.
Anforderungen an die/den unabhängigen Beauftragten für Kinderschutz und Kinderrechte in Bezug auf Kinder und Jugendliche mit Behinderung
Kinder und Jugendliche mit Behinderungen werden wesentlich häufiger (drei- bis viermal) Opfer von Gewalt oder auch grenzüberschreitendem Verhalten². Dieser Risikofaktor sollte bei allen Umsetzungen des inklusiven Kinderschutzes Berücksichtigung finden. Dass der Förderung des inklusiven Kinderschutzes gemäß § 20 Abs. 1 ausreichend Rechnung getragen werden soll, bewerten wir vor diesem Hintergrund sehr positiv. In Teil B (Besonderer Teil) des Gesetzesentwurfs wird hierauf Bezug genommen und ausführlicher auf Kinder und Jugendliche mit Behinderungen eingegangen. Die durchgängige Beteiligung und Partizipation von Kindern und Jugendlichen ist dabei ein wichtiger Faktor. Hier müssen besondere Methoden Berücksichtigung finden, die insbesondere Kindern und Jugendlichen mit Beeinträchtigungen bzw. Teil- und Förderbedarfen ermöglichen, an diese Beteiligungsprozessen teilzunehmen (beispielsweise hinsichtlich leichter Sprache, dem Abbau von Barrieren und dem Aufbau niedrigschwellige Zugänge, der Beobachtung von Willensbekundungen, dem Einsatz von unterstützter Kommunikation etc.).
Wie bereits im Rahmen der Prävention sexualisierter Gewalt, sind Mitarbeitende in Kitas, Schulen und anderen Institutionen für das Thema zu sensibilisieren, um Anzeichen bei Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen, die die unterschiedlichen Formen der Gewalt erfahren oder erfahren haben, frühzeitig zu erkennen. An dieser Stelle kann die/der unabhängige Beauftragte im Rahmen seiner Aufgabenwahrnehmung wichtige Unterstützungsarbeit leisten.
Hierbei müssen drei Ebenen betrachtet werden, die bei Kindern mit Behinderungen eine besondere Bedeutung haben:
a) die pädagogische Ebene: die Erfahrung von Grenzverletzungen kann beispielsweise bei Kindern, die sich nicht oder kaum verbal äußern können, nicht immer erkannt werden;
b) die pflegerische Ebene: Kinderschutz ist auch bei pflegerischen Maßnahmen (z.B. Sondieren, Katheterisieren, Lagerungswechsel etc.) zu beachten;
c) die medizinische Ebene: altersgemäße und entwicklungsbezogene gesundheitliche Versorgung ist zu gewährleisten.
Im Sinne eines inklusiven Kinderschutzes bedarf es bei den freien und öffentlichen Trägern der Kinder- und Jugendhilfe breiter, interdisziplinärer Kompetenzen, um allen drei Ebenen gerecht zu werden. So benötigen beispielsweise die ASD in den Jugendämtern entsprechende Kompetenzen, um Kinderschutzmeldungen bei Kindern mit Behinderungen ganzheitlich erfassen können. Auch hier kann der/die Beauftragte für Kinderschutz wichtige Impulse setzen und Formate, z.B. in Form von Fortbildungen und Schulungen, implementieren.
Anforderungen an die/den unabhängigen Beauftragten für Kinderschutz und Kinderrechte in Bezug auf geflüchtete Kinder und Jugendliche
Häufig stehen asylrechtliche Regelungen Kinderrecht und Kinderschutz entgegen. Obwohl Sammelunterkünfte nicht für die Unterbringung von Kindern geeignet sind, entsprechen mehrmonatige Aufenthalte von Familien mit Kindern in entsprechenden Unterkünften der Realität. Darüber hinaus gibt es Verschärfungen im Asylrecht, welche Auswirkungen auf die Unterbringung und Versorgung von Kindern in Landesunterkünften haben (werden). Auch Maßnahmen der Rückführungen aus Landeseinrichtungen werden vermehrt umgesetzt.
Die in § 19 beschriebenen Aufgaben der/des Beauftragten sollten unseres Erachtens daher einen Bezug zu den in den Landesunterkünften verankerten Beschwerdemanagement-Konzepten herstellen. Eine Verzahnung des bestehenden Beschwerdemanagements mit den Aufgaben der/des Kinderschutzbeauftragen ist wünschenswert. Darüber hinaus gilt es zu überlegen, ob der/die Kinderschutzbeauftragte in das bestehende Beschwerdesystem für Landesunterkünfte des Landes NRW aufgenommen wird und im Rahmen des Runden Tisches (Säule 3) zum Thema Kinderschutz und Kinderrechten in Landesunterkünften berichtet.
Aktuell existieren für die Landesunterkünfte mehrere Elemente des Gewaltschutzes unverbunden nebeneinander: Landesgewaltschutzkonzept, Gewalt- und Kinderschutzbeauftragte des jeweiligen Betreuungsdienstes, Beschwerdemanagement, Psychosoziale Erstberatung u.v.m. Es braucht dringend eine systematische Verzahnung und eine fachliche Begleitung, die – gemeinsam mit der Einrichtungsleitung – alle Fäden zusammenführt, Maßnahmen überwacht, dokumentiert, auswertet und ggf. anpasst. Aufgrund der Vielzahl unterschiedlicher Akteure in Landeseinrichtungen gilt es, alle Akteure bei der Etablierung von Kinderschutz und Kinderrechten einzubinden. Auch hier bedarf es der Sensibilisierung von Mitarbeitenden, z.B. in Form von Schulungen und Fortbildung, sowie der Implementierung von Meldewegen im Falle einer Kindeswohlgefährdung.
Die in § 19 Abs. 5 erwähnte Beteiligung muss die Kinder und Jugendlichen in Landesunterkünfte berücksichtigen und umfassen. Entsprechend sind Beschwerdemanagement-Konzepte kindgerecht zu gestalten, damit auch Kinder und Jugendliche im Beschwerdemanagement als Zielgruppe angesprochen werden. In diesem Rahmen könnte beispielsweise festgelegt werden, dass vorgetragene Beschwerden von Kindern an den/die Kinderschutzbeauftragte weitergeleitet werden.
Im Rahmen einer Überarbeitung des Landesgewaltschutzkonzeptes sollte ein besonderer Fokus auf das Thema Kinderrechte und Kinderschutz gelegt werden. In diesem Zusammenhang ist unseres Erachtens die/der unabhängige Beauftragte als fester Akteur in den Strukturen des Aufnahme- und Unterbringungssystems einzubinden. Die Sicherstellung von Kinderschutz und Kinderrechten (auch) in den Sammelunterkünften des Landes NRW muss zentraler Bestandteil der Aufgaben der/des unabhängigen Beauftragten sein.