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Arbeitsgemeinschaft der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege des Landes Nordrhein-Westfalen e. V. | Detail

Erwerbslosigkeit ist Armutsrisiko Nummer 1

„Arbeitslosenreport NRW“ belegt: Immer mehr Hartz-IV-Empfänger machen Schulden beim Jobcenter

Münster. Mehr als 16 Prozent der nordrhein-westfälischen Bevölkerung sind armutsgefährdet; das größte Armutsrisiko tragen die Erwerbslosen. 57 Prozent von ihnen zählten im Jahr 2014 zu den Armutsgefährdeten, so der aktuelle Arbeitslosenreport der Freien Wohlfahrtspflege NRW. Außerdem verschulden sich immer mehr Hartz-IV-Empfänger bei den Jobcentern.

Nach EU-Definition gelten Menschen als armutsgefährdet, wenn sie mit weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens der Gesamtbevölkerung auskommen müssen. Ein Einpersonenhaushalt gilt als armutsgefährdet, wenn ihm weniger als 895 Euro pro Monat zur Verfügung stehen. Bei einem Haushalt mit zwei Erwachsenen und zwei Kindern unter 14 Jahren liegt die Grenze bei 1.879 Euro.

In Nordrhein-Westfalen ist zudem mehr als jeder vierte Hartz-IV-Empfänger im erwerbsfähigen Alter arm trotz Arbeit: Rund 302.000 Erwerbstätige in NRW beziehen als sogenannte „Aufstocker“ gleichzeitig Hartz-IV-Leistungen; das sind rund 26 Prozent der knapp 1,18 Millionen erwerbsfähigen Hartz-IV-Empfänger. Der Großteil dieser rund 302.000 Aufstocker ist in einem Minijob beschäftigt, 41 Prozent von ihnen üben eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung aus, 14 Prozent sogar in Vollzeit.

Immer mehr auf Grundsicherung angewiesene Bürgerinnen und Bürger können ihre Ausgaben nicht aus ihrem Regelsatz bestreiten und nehmen daher ein Darlehen beim Jobcenter auf: Im Jahr 2012 verschuldeten sich im Durchschnitt monatlich rund 5.400 Hartz-IV-Bezieher bei ihrem Jobcenter, im Jahr 2014 waren es bereits 6.200 Personen – trotz relativ konstanter Hartz-IV-Empfänger-Zahlen in NRW. Die Gesamtsumme der monatsdurchschnittlich gezahlten Darlehen stieg entsprechend an: von 1,88 Millionen Euro (2012) auf 2,52 Millionen Euro (2014). Jobcenter gewähren Darlehen im Falle eines besonderen, unabweisbaren Bedarfs zur Sicherung des Lebensunterhalts, also für Anschaffungen wie zum Beispiel Elektrogeräte oder Kleidung. Die Schulden werden getilgt, indem pro Monat zehn Prozent vom – als Existenzminimum geltenden – Regelsatz einbehalten werden. „Wir können nicht akzeptieren, dass der Regelsatz so niedrig bemessen ist, dass er Langzeitarbeitslose zwingt, beim Jobcenter Darlehen aufzunehmen, die sie oft kaum zurückzahlen können“, kritisiert Ludger Jutkeit, Vorsitzender der Freien Wohlfahrtspflege in NRW. „Wenn Hartz-IV-Empfängern ein Mindestmaß an gesellschaftlicher Teilhabe möglich sein soll, dürfen wir sie nicht auch noch zu Schuldnern der Jobcenter machen. Alle Verbrauchspositionen im Regelsatz, wie etwa Stromkosten, müssen realistisch berechnet und wie die Mietkosten pauschal gewährt werden“, so fordert Jutkeit. „Außerdem müssen kostenintensive Anschaffungen wie der Kühlschrank, die Waschmaschine oder der Kochherd wieder zukünftig über einmalige Beihilfen und nicht über den Regelsatz finanziert werden.“

Hintergrund:

Die Wohlfahrtsverbände in NRW veröffentlichen mehrmals jährlich den „Arbeitslosenreport NRW“. Darin enthalten sind aktuelle Zahlen und Analysen für Nordrhein-Westfalen; Basis sind Daten der offiziellen Arbeitsmarktstatistik der Bundesagentur für Arbeit. Jede Ausgabe widmet sich einem Schwerpunktthema. Hinzu kommen Kennzahlen zu Unterbeschäftigung, Langzeitarbeitslosigkeit und SBGII-Hilfequoten, um längerfristige Entwicklungen sichtbar zu machen. Der Arbeitslosenreport NRW sowie übersichtliche Datenblätter mit regionalen Zahlen können im Internet unter www.arbeitslosenreport-nrw.de heruntergeladen werden. Der Arbeitslosenreport NRW ist ein Kooperationsprojekt der Freien Wohlfahrtspflege NRW mit dem Institut für Bildungs- und Sozialpolitik (IBUS) der Hochschule Koblenz. Ziel der regelmäßigen Veröffentlichung ist es, den öffentlichen Fokus auf das Thema Arbeitslosigkeit als wesentliche Ursache von Armut und sozialer Ausgrenzung zu lenken, die offizielle Arbeitsmarkt-Berichterstattung kritisch zu hinterfragen und dabei insbesondere die Situation in Nordrhein-Westfalen zu beleuchten.