Das Landesprogramm „Soziale Beratung von Geflüchteten“
Das Landesprogramm „Soziale Beratung von Geflüchteten“ ist ein unverzichtbarer Bestandteil der flüchtlings- und migrationspolitischen Infrastruktur in NRW. Mit dem Haushaltsentwurf für das Jahr 2025 zerschlägt die Landesregierung dieses seit knapp 30 Jahren bestehende Programm, streicht einzelne Fördersäulen komplett, siehe Positionspapier „Zerschlagung des Landesprogramms – Streichung der Asylverfahrensberatung“ (siehe Anhang 1 und hier) und der Hintergrundinformationen (siehe Anhang 2 und hier). Gerade in Zeiten erstarkender Menschenfeindlichkeit und Radikalisierung in der Gesellschaft stellt die unabhängige Beratung in Aufnahmeeinrichtungen und Kommunen ein wichtiges Instrument der Rechtsstaatlichkeit¹, Information und Orientierung für Schutzsuchende dar.
Ausbau Landesunterkünfte, aber Streichung Asylverfahrensberatung?
Das Land baut das zentrale Unterbringungssystem mit derzeit 57 auf 75 Unterkünfte in 2025 (41.000 Plätze) weiter aus und verpflichtet Asylsuchende bis zu 24 Monate in Aufnahmeeinrichtungen zu leben, gleichzeitig streicht das Land seine Förderung der Asylverfahrensberatung (77 VZÄ) und verweist auf die Bundesmittel. Die zur Verfügung stehenden Mittel für eine bundesgeförderte Asylverfahrensberatung können jedoch nicht annähernd den Bedarf an Beratung decken – Asylantragsstellende in mindestens der Hälfte der Aufnahmeeinrichtungen des Landes werden ab 2025 ohne Zugang zu unabhängiger Rechtsberatung sein.
Dies ist eine Abkehr von der Verpflichtung, Schutzsuchenden einen effektiven Zugang zu einer unentgeltlichen rechtlichen Beratung für das Asylverfahren sicherzustellen (EU-Verfahrensrichtlinie) und das Individualrecht auf Asyl abzusichern. Frustration und Unsicherheit der Antragsstellenden werden ansteigen, der Druck auf die behördlichen Strukturen (Einrichtungsleitungen und ihre Dienstleister, Zentrale Ausländerbehörden) und die stark ausgelasteten Beratungsstellen in den Kommunen wird nochmals verstärkt. Darüber hinaus steht diese Entscheidung in Widerspruch zu den erklärten Bemühungen der Landesregierung, den Gewaltschutz in den Landesunterkünften auszubauen.
Streichung der Asylverfahrensberatung für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge
Im Bereich Flucht/Kinder- und Jugendhilfe streicht das Land die Asylverfahrensberatung für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (AVB umF) an derzeit 15 Standorten mit 20 Berater*innen (14 VZÄ) ein Verlust an langjährigen und gut vernetzten Expert*innen. Junge geflüchtete Menschen verlieren damit eine unabhängige Beratungs- und Vertrauensinstanz. Die Kinder- und Jugendhilfe wird auf Zukunft keine Unterstützung mehr erhalten bei der Abwägung der Schritte im asyl- und aufenthaltsrechtlichen Verfahren ergänzend zum Clearingverfahren der Jugendhilfe. Ebenso entfällt das wichtige Angebot an Multiplikatoren-Schulungen für Vormünder, Träger der Jugendhilfeeinrichtungen und Jugendämter – aktuell und in den vergangenen zwei Jahren intensiv nachgefragt aufgrund von Brückenlösungen und hoher Personalfluktuation. Auch hier verweist das MKJFGFI auf die bundesgeförderte Asylverfahrensberatung, ohne dass hierfür auskömmliche Mittel zu Verfügung stehen.
Richtlinien für die weiteren Beratungsbereiche fehlen
Neben den drastischen Kürzungen im Landeshaushalt, stellt die Tatsache, dass die Richtlinie zu den verbleibenden Beratungsbereichen bisher nicht veröffentlicht wurde, eine enorme Belastung für unsere engagierten Träger und Mitarbeitenden dar. Hinzu kommt, dass aufgrund der kurzfristigen Verschiebung der Fördersäule „Regionale Beratung“ in die Integrationsabteilung hierfür nun ebenfalls eine neue Richtlinie benötigt wird. Bisher konnte das MKJFGFI keine Zusicherung für eine zeitnahe Erstellung und Veröffentlichung beider Förderrichtlinien geben, sodass eine nahtlose Fortsetzung der Beratung im Jahr 2025 gefährdet ist. Aufgrund der kurzfristigen Änderungen und fehlenden Richtlinien/Ausschreibungen mussten bereits langjährige Mitarbeitende entlassen werden bzw. sich arbeitslos melden. Bei den Mitarbeitenden handelt es sich um hochqualifizierte Personen im Bereich Asyl- und Aufenthaltsrecht – deren Entlassung für zu einen enormen Qualitätsverlust für die Beratungslandschaft NRWs.
Hoher Eigenanteil der Träger – dringende Förderanpassungen
Darüber hinaus gibt es aus dem MKJFGFI bereits Signale, dass die in Gesprächen mit der Landesregierung dargestellten notwendigen Förderanpassungen ausbleiben werden. Schon jetzt sind die meisten unserer Träger im Landesprogramm an der Grenze ihrer finanziellen Belastbarkeit hinsichtlich der hohen Eigenmittelanteile, einige steigen nun endgültig aus dem Programm aus. Das betrifft Träger, die sich seit Jahren in diesem schwierigen Arbeitsfeld engagieren und mit großem Einsatz von Eigenmitteln die letzten Jahre durchgehalten haben. Sie taten dies in der Hoffnung, die Landesregierung würde ihre Versprechen aus dem Koalitionsvertrag einhalten und das Programm „Soziale Beratung von Geflüchteten“ stärken und weiter ausbauen. Dieses Versprechen wurde bisher nicht nur nicht eingehalten, sondern wurden mit den aktuellen Zerschlagungsplänen des Programms gebrochen.
Wir bitten eindringlich darum, die neue Förderrichtlinie „SBvG“ sowie die Richtlinie für die Regionale Beratung mit den im „Netzwerk SBvG“ organisierten Trägervertretungen abzustimmen und nun schnellstens auf den Weg zu bringen. Wenn die Richtlinien erst nach Verabschiedung des endgültigen Haushaltes veröffentlicht werden können, bedarf es einer frühzeitigen Veröffentlichung eines Förderaufrufs vorbehaltlich der haushälterischen Verhandlungen, damit eine rechtzeitige Antragsstellung noch sichergestellt werden kann.
Fazit
Die Arbeitsfähigkeit von Trägern der Sozialen Beratung von Geflüchteten ist momentan so bedroht wie noch nie. Es braucht schnell pragmatische Lösungen zur weiteren Finanzierung dieser wichtigen Beratungsstellen im Land – und einer Lösung zur Weiterförderung der Asylverfahrensberatung und Asylverfahrensberatung umF! Diese Beratungsstellen müssen als erste Anlaufstelle für Geflüchtete erhalten bleiben. Der Wegfall hätte schwerwiegende Folgen für das Ankommen der Menschen in NRW und könnte sich langfristig auf ihre Integration auswirken.
Das Landesprogramm “Förderung von Integrationsagenturen für die Belange von Menschen mit Einwanderungsgeschichte und Servicestellen für Antidiskriminierungsarbeit”
Bereits seit 2007 leisten die Integrationsagenturen (IAs) und Servicestellen für Antidiskriminierungsarbeit einen entscheidenden Beitrag zur Integration in NRW und stellen wertvolle Angebote für Menschen mit Migrationsgeschichte bereit, die ihre gesellschaftliche Teilhabe vor Ort sicherstellen. Ausgehend von fundierten Sozialraumanalysen reagieren sie mit ihren Angeboten auf aktuelle Bedarfe und gesellschaftspolitische Entwicklungen, vernetzen die relevanten Akteure und Institutionen vor Ort, fördern die interkulturelle Öffnung von Einrichtungen und Diensten, sensibilisieren zu den Themenfeldern Populismus, Extremismus, Rassismus, beraten Menschen mit Diskriminierungserfahrungen und stärken so das respektvolle Zusammenleben in den Quartieren. Mit ihrer Aufnahme in das 2022 reformierte Teilhabe- und Integrationsgesetz NRW (TIntG) ist ihrer Bedeutung als wichtigen Bausteinen der Integrationsinfrastruktur in NRW Rechnung getragen worden. Gleichzeitig führen die Rahmenbedingungen der Förderung zu immer größeren Herausforderungen und nicht tragbaren Situationen, sodass die Fortsetzung der Arbeit gefährdet ist.
Richtlinienverzögerungen und ihre Folgen
Ende 2022 lief die bisherige Richtlinie für das Landesprogramm aus. Der Prozess zur Erneuerung dieser startete jedoch erst im März 2023. Dies führte dazu, dass eine Verabschiedung erst im Juli 2024 stattfand und die Träger der Freien Wohlfahrt aufgrund der verzögerten Antragstellung bis heute auf ihre Fördermittel warten, obwohl das Förderjahr fast beendet ist. Bereits seit Januar gehen sie in Vorleistung, ein Umstand, der viele Angebote bedroht und die gemeinnützigen Träger vor unzumutbare finanzielle Herausforderungen stellt. Die Forderung nach Abschlagszahlungen wurde vor der Verabschiedung der Richtlinie mit der fehlenden Rechtsgrundlage begründet und danach gänzlich ohne Erläuterung abgelehnt. Diese Situation führte dazu, dass im Jahr 2024 weniger Angebote umgesetzt werden konnten, als in den vergangenen Jahren und die Schließung von weiteren Integrationsagenturen droht. Erschwerend kommt hinzu, dass diese Richtlinie lediglich für das Jahr 2024 gültig ist und nun Mitte Oktober noch keine Richtlinie für das Jahr 2025 veröffentlicht ist. Hier bahnt sich eine Wiederholung der Problematik aus diesem Jahr auch für 2025 an. Die wiederholte verzögerte Veröffentlichung der Richtlinien für das Programm Integrationsagenturen und Beratungsstellen Antidiskriminierungsarbeit stellt die jahrlange Kontinuität und Stabilität des Programmes in Frage. Zum Schaden vor allem für die Zielgruppe, die von Diskriminierung Betroffenen und die vielen Angebote in den Sozialräumen in NRW.
Fazit
Auch wenn erfreulicherweise keine Kürzungen für das Landesprogramm im Jahr 2025 vorgesehen sind, stellt sich die Situation der Träger durchaus prekär dar. Durch das Regierungshandeln ist die erfolgreiche Arbeit im Landesprogramm gefährdet.
Streichung der Förderung für Interkulturelle Zentren und niedrigschwellige Integrationsvorhaben für Menschen mit Einwanderungsgeschichte sowie Kürzung der Unterstützung muslimischen Engagements im Haushaltsentwurf 2025
Verschärft wird die Situation durch die völlig unverständliche Streichung des Förderbausteins Interkulturelle Zentren und niedrigschwellige Integrationsvorhaben im NRW Haushaltsentwurf für 2025. Mit eher kleinem Mitteleinsatz ist hier die Existenz wichtiger Orte des Austausches und der Begegnung von Menschen mit und ohne Einwanderungsgeschichte gerade in sozial prekären Quartieren abgesichert, und die Durchführung von niedrigschwelligen Maßnahmen, mit denen flexibel auf neue Bedarfe und Herausforderungen reagiert werden konnte, ermöglicht worden. Die geplante Streichung gefährdet damit gleichermaßen wichtige Einsatzorte und wirksame Aktivitäten der Integrationsagenturen und sollte daher dringend zurückgenommen werden. Die Integrationspolitische Infrastruktur wird zudem weiter geschwächt durch geplante Kürzungen von rund 1,6 Mio. Euro im Bereich „muslimisches Engagement“. Auch die muslimischen Träger sind eine wichtige Stütze einer pluralen Angebotsstruktur.
¹ Die unabhängige Asylverfahrensberatung als Rechtsberatung stellt die Verfahrensgarantien sicher durch unentgeltliche „Rechts- und verfahrenstechnische Auskünften“, siehe Art. 19 ff EU-VerfahrensRL 2013/32/EU. Zudem haben Beratungsstellen noch eine weitere Funktion: Da „Rechtsbedürfnis nicht unabhängig von einem infrastrukturellen Angebot und den Institutionen der Rechtsvermittlung besteht, […] sind diese mehr als nur ein Instrument der Rechtsdurchsetzung - sie üben dann auch eine konstitutive Funktion für die Herausbildung von Rechtsbewusstsein aus“, siehe Huke, Nikolai, Rechtsmobilisierung in prekären Lebenslagen: (Rechts-) Beratungsstellen als Voraussetzung rechtsstaatlicher Verhältnisse, Kritische Justiz, Heft 3/2024, im Erscheinen.